Grenzdorf

Berg/Pfalz als Grenzdorf

a) Kleiner Grenzverkehr vor dem Krieg.

Nach dem Stand vom Februar 1938 haben 114 Familien jenseits der deutsch-französischen Grenze, in der Gemarkung Lauterbourg, Eigentums- oder Pachtland bewirtschaft. Keine einzige Parzelle lag brach. Wir waren auf die Ernteerträge dringend angewiesen. Alles zur Bewirtschaftung eingesetzte Vieh wurde jährlich einer amtstierärztlichen Untersuchung unterzogen; eine lange Schlange bespannter Fahrzeuge stand an den Untersuchungstagen entlang der Lauterburger Landstraße bis zum Bahnhof. Pferde und Rinder bekamen auf dem linken Vorderhuf bzw. auf das linke Horn ein lateinisches B eingebrannt, außerdem waren die gleichen Buchstaben durch einen entsprechenden Haarschnitt auf die linke Hinterbacke in einer Größe von 10 cm anzubringen. Über diese Prozedur gab es einen Grenzübertritts-Ausweis, der stets mitzuführen war. Im Jahr 1925 durfte die Kartoffelernte nur mit einer von der französischen Ortsbehörde Lauterburg erteilten Bescheinigung eingeführt werden. daß die französ. Gemarkung frei von Kartoffelkäfer und Kartoffelkrebs ist. Daneben gab es aber noch eine Reihe anderer Formalitäten, die es von allen Pflanzern und Viehaltern strikt einzuhalten galt. So zum Beispiel mußten die deutschen Viehbesitzer für ihr im Kleinen Grenzverkehr verwendetes Vieh französische Personen als solidarisch haftende Bürger stellen. In dieser Beziehung war der Lauterburger Polizeidiener Victor Carl für viele Berger nicht nur ein großer Helfer, sondern oft auch ein rettender Engel in der Not. Ihm sei dafür noch nachträglich herzlich gedankt .

Wer all die Reglements nicht selbst miterlebt hat, kann sich nur schwer eine Vorstellung davon machen, was die Grenze den Bewohnern hüben und drüben schon alles an Schwierigkeiten und Verdruß abverlangte. Gottlob – es war einmal.

b) Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.

Als Grenzbewohner haben wir immer alle politischen Spannungen zu spüren bekommen:

Verstärkte Postierungen, verschärfte Kontrollen, strenge und strengste Überprüfung der Anträge auf Grenzübertrittsausweise oder auch Entzug von Grenzausweisen für solche Personen, die nach Ansicht von Partei und Behörde nicht 100%ig zuverlässig waren und so manches andere mehr. Der Schlagbaum an der Grenzübergangsstelle Neulauterburg-Lauterbourg öffnete sich immer seltener; der Kleine Grenzverkehr wurde zum Kleinstverkehr.

Berg und die anderen Grenzgemeinden stellten sogenannte „GREWA-Einheiten“ (Grenzwachtkompanien), die wiederholt zu Übungen eingezogen worden sind. In Ausnahmezeiten, so zum Beispiel bei der Tschechenkrise, gab es Sondereinsätze an der Grenze. Militärische Einrichtungen wie Bunker und Straßensperren innerhalb und außerhalb des Ortes, oder die organisatorischen Vorbereitungen zur Räumung des Dorfes haben uns bereits deutlich gesagt, was die Stunde geschlagen hat.

Schließlich kam eine Woche vor Beginn des II. Weltkrieges für viele Männer der endgültige und folgenschwere Einberufungs-, für die Wohnbevölkerung der Räumungsbefehl.

Eine ewige Erinnerung wurde der Gemeinde beschert in Gestalt des 20 Meter breiten, den Gemeindewald durchziehenden Panzergrabens und einer 30 Hektar großen Waldabholzung als Schußfeld. Ein Mehr-Generationsschaden für Berg.

Episoden unter- und oberhalb des Schlagbaumes

Legionär auf deutschem Boden verhaftet.

Im Juli 1955 spielten sich am Grenzübergang Neulauterburg und an der Grenzlauter drei Legionärsschicksale ab.

Ein Legionär setzte alles auf eine Karte, durchschwamm die Lauter und erreichte auch deutschen Boden. Sein Wagnis war von Erfolg.

Ein anderer Legionär ist von Tunesien aus auf Kommando nach Paris abgeordnet worden, um dort an einer Parade aus Anlaß des französ. Nationalfeiertages teilzunehmen. Es ist ihm gelungen in Paris zu entweichen und die ganze Strecke bis Neulauterburg per Anhalter zurückzulegen. Doch das Glück verließ ihn buchstäblich in der letzten Sekunde; denn hier ist er auf deutschem Boden von einem französ. Grenzposten geschnappt und festgenommen worden. Heute nur noch schwer begreifbar.

In einem dritten Fall hat sich ein Legionär vom Kriegsschauplatz Indochina/Vietnam über ein Lazarett von Marseilles in Legionärsuniform bis nach Berg durchgeschlagen. Als er sich endlich bei unserer Gendarmeriestation in Sicherheit wußte, glich er einem Nervenbündel. Sein Abenteuer nannte er selbst Strapazen, Aufregung und Dusel mit einem guten Ende für ihn.

Illegale Grenzgänger einmal so – einmal so

Unerlaubte Grenzübertritte waren in den Nachkriegsjahren, besonders von 1950 – 1956 keine Seltenheit und es wurde von ihnen fast keine Notiz genommen, wenn sie einen normalen Ablauf hatten. Nachfolgend nun einige Grenzereignisse auf diesem Gebiet von anderer Art:

1. Ein junges Pärchen aus Mannheim, 20 und 16 Jahre alt, sollte in Lohntüten den Zahltag auf die Baustelle bringen. Stattdessen fuhren sie in die südliche Richtung. Nachdem sie in Karlsruhe eine Zwischenstation einlegten und in einer Nacht immerhin 600.- DM verzechten, versuchten sie am nächsten Tag in Neulauterburg die Grenze hinter sich zu bringen, sind aber hier mit den noch vorhandenen 5500,-DM am Übergang dingfest gemacht worden. Ihre beiden Begleiter auf der Rückfahrt nach Mannheim waren zwei Kripobeamte.

2. Ein Karlsruher hat sich per Taxe an die Neulauterburger Grenze bringen lassen. Hier sprang er, ohne zu zahlen, auf die französ. Seite. Doch die französ. Grenzler verfolgten das Spiel und übergaben den Karlsruher Brigant sofort wieder in deutsche Hände. Von hier aus machte er eine zweite Freifahrt, diesmal zum Kandeler Richter.

3. Ein ganz gerissener Haudegen, bei der Berger Gendarmerie in der Arrestzelle gesessen, bat dringend um Einlaß in das WC. Von innen riegelte er sich ein und kroch in wenigen Sekunden gewandt und unbemerkt durch ein kleines Fenster in die Freiheit. Trotz Verfolgung gelang ihm die Flucht über die Wieslauter nach drüben.

4. Ein jung verheirateter Mann aus Baden, ausgerüstet mit einer Pistole, wollte tief nach Frankreich, um dort den Freitod zu wählen. Später schrieb er an die Gendarmerie, die ihn in Haft nahm, aus der Heimat, es sei wieder zu Hause alles in bester Ordnung und er wolle sich bei der Gendarmerie dafür bedanken, daß sie ihn von seinem Plan abgehalten und gerettet habe.

5. Ein Neunzehnjähriger, scheinbar gut geländeorientierter Jugoslawe ließ sich verfolgen bis an die alte Lauter. Ungeachtet aller Zurufe und Warnschüsse setzte er zum Überschwimmen an und versuchte trotz Schußverletzung seine Flucht zu vollenden. Seine Festnahme erfolgte noch in der deutschen Flußhälfte und in diesem Zustand seine sofortige Überführung in das Kreiskrankenhaus Kandel.

6. An der Grenzstelle Scheibenhardt versetzte ein Legionswilliger dem Zollbeamten, der gerade seine Papiere prüfte, einen Faustschlag ins Gesicht und türmte über die Schranken.

7. Ein 24jähriger französischer Deserteur aus einer Garnison im Raum Mainz ging in die Maschen der deutschen Grenzler. Von Wörth bis zur Grenze bediente er sich zwei entwendeter Fahrräder an Gaststätten. Er wurde der französ. Gendarmerie übergeben Bei seiner Vernehmung in Landau vor der französ. Justiz hat er einen in Le Mans (Frankreich) verübten Raubmord eingestanden.

8. Verfolgt man die Grenzvorkommnisse auch in die Vorkriegszeit zurück, so läßt sich aktenmäßig feststellen, daß 1934 ein junger Mann aus Bayern auf der F]ucht bei Neulauterburg erschossen worden ist.

Zusammengenommen gesehen kann die Grenze für eine Flucht in die Freiheit gut, aber auch eine Flucht in die Falle, ja selbst in den Tod sein. Von der Berger Lauterburger Grenze lassen sich jedenfalls diese drei Arten

Von 1950 – 1955 gab es nicht selten Tage mit 3 bis 5 Festnahmen an unserer Grenze. Die von der Gemeinde ausgegebenen Verpflegungsscheine, bestehend in 3 Tagesrationen von je ein Stück Wurst und 1 Scheibe Brot, beweisen dies. Damals lautete wie übrigens auch heute noch, die Vorschrift so, daß jeder Deutsche oder Ausländer von demjenigen Fürsorgeverband unterstützt werden muß, in dessen Bezirk er sich bei Eintritt der Hilfsbedürftigkeit befand – und der hieß eben Berg.

Bei den weitaus meisten der Aufgegriffenen waren kriminelle Vergehen der Anlaß, im anderen Land über der Grenze eine neue Zukunft aufzubauen.

Man sollte sie hinüberlaufen lassen, meinte damals der Volksmund; anders das Gesetz, das am Grenzpfahl zugriff und die Überläufer zum Kadi brachte.

Mehr als einmal sind diesseits oder jenseits der Grenze auf dem Feld arbeitende Einzelpersonen, besonders Frauen, durch das plötzliche Auftauchen solcher Grenzgängergestalten aufgeschreckt, geänstigt und zum Heimmarsch genötigt worden. In den späteren Jahren wurde es auf diesem Gebiet wieder ruhiger; auch Erleichterungen im Kleinen Grenzverkehr wurden zunehmend spürbar. Ein großer Vorteil war vor allem für den Bauersmann damit verbunden. Es wurde zum Beispiel nicht mehr wie früher mit einem langen Spieß im Innern des Heuwagens nach verborgenem Zollgut herumgestöbert .

Schließlich hat sich das gesamte Grenzbild gewandelt. Interessant das Leben und Treiben in Neulauterburg, wenn die vielen Busse und Kombiwagen aus Karlsruhe und Wörth mit elsässischen Pendlern für kurze Zeit Rast machen. Die Zollabfertigung geht heute flott vonstatten, doch ab und zu müssen sich die Leutchen auch mal wieder eine eingeschobene Kontrolle gefallen lassen, denn die Grenze ist eben noch da und der Zoll weiß, daß nicht alle Passanten Engel sind.

Daß es an der Grenze nicht immer todernst verlaufen muß, sondern auch mal amüsant zugehen kann, dafür zwei Beispiele:

1. Eine Berger Frau kaufte sich in Lauterburg/Elsaß einen Wecker und wollte ihn natürlich, gut am Buserl versteckt, tabu über die Grenze bringen. Ausgerechnet in dem Augenblick als der Zöllner ihr gegenüber stand, begann das kleine Monstrum in seinem Versteck zu läuten. Die Arme versuchte das Geläute in ihrer Verlegenheit zu überhusten; der verlegene Zöllner seinerseits traute seinen Ohren nicht, traute sich kaum, sein Auge an die Musikstelle zu richten und traute sich schon gar nicht nach dem Ding zu tasten. Und so blieb es beim zollfreien Geräusch.

2. Eine andere Berger Frau erstand, ebenfalls in Lauterburg, ein Nachttöpfchen. So gut sie konnte, verbarg sie das wichtige Ding innerhalb ihres Regenschirmes, um aber dann doch vom Grenzauge erspäht zu werden. Der Zöllner wollte ihr behilflich sein und meinte, das sei ja ein gebrauchter Gegenstand. Sie aber belehrte ihn, das sei ein neuer, den sie erst vorhin gekauft habe. Gut so! die Antwort des Staatsdieners, dann müssen sie eben Zoll zahlen.

Damals wie heute. Die nicht weit voreinander hochgezogene schwarz-rot-goldene Bundesflagge und die blau-weiß-rote Trikolore grüßen sich schicksalsverbunden wie gute Freunde. Zwar nationalbewußt, doch so, als wollten sie nach einem „Vereinigten Europa rufen. Beide wissen aber sehr wohl, daß es dahin noch ein weiter beschwerlicher Weg sein wird. Weg und Ziel waren sicherlich nicht so steil und steinig, würden Politiker und Diplomaten am guten Willen, Denken und Handeln der Grenzbevölkerung Maß nehmen.

Dieser Text stammt aus der Ortschronik von Ludwig Stehle (1980)
Bearbeitet von Dr. Hans-Peter Meyer und Joachim Möller (2001)